ZeichnenLernen Einführung

Montag, 7. Januar 2013

Besuch bei Antonello Da Messina

Antonello Da Messina
Annunziata (Museo Nationale, Palermo)
1475
 
Antonello Da Messina
Annunziata (München, Alte Pinakothek)
ca. 1470

Mir steht leider keine freie farbige Abbildung der Pinakothek zur Verfügung. Daher habe ich die Annunziata aus Palermo oben abgebildet, die farblich ähnlich aufgebaut ist. Das Münchner Bild, auf das ich mich im Folgenden beziehe zeige ich Ihnen in s/w. Warum stelle ich eine Madonna vor? Mir geht es um ein Porträt.

Meinen Gegenstand wähle ich eher spontan. Das Bild hängt in einer der seitlich gelegenen, wenig besuchten Kojen. Es misst ca. 43 x 32 cm und ist in einem dunklen Holzrahmen eingespannt. Ein leuchtendes Blau, das des Tuches, hält mich, fällt mir als erstes auf. Auf den zweiten Blick fesselt mich das Gesicht dieser Madonna. Keine Schönheit ist sie, eher das Mädchen von nebenan, unausgewogen das Verhältnis ihrer Augen zu Nase und Mund, die wie ein „T“ mit starker Unterlänge im Oval fast streng platziert sind. Das Gemälde vereint eine Angespanntheit mit großer Ruhe.

In meiner ersten Zeichnung versuche ich über rhythmisch gesetzte Linien dem Geheimnis dieser Bildspannung nahe zu kommen. Es scheint, als ob die Kopfbewegung nach links führt, die der Augen nach rechts. Den Bogen des Tuches, der ihr Gesicht einrahmt, habe ich deutlich überspannt, damit der Rhythmus sichtbar hervortritt.

Im zweiten Schritt ist es die Eigenheit des Gesichtes, die ich kennen lernen will. Die weit gespannten Wangenbögen stehen im Kontrast zu der schmalen, langen Nase und dem winzigen Mund, der mit der knapp bemessenen Kinnpartie eine abschließende Einheit bildet. Dies gibt der eigenartig geformten Gesichtsfläche einen Hauch Grobschlächtigkeit, die der Zartheit der Linien und der Tönung widerspricht.
Es scheint mir bemerkenswert, dass ich im Augenblick, da ich diese Beschreibung liefere, die Mängel meiner Zeichnung - die Augen, die nicht schmal genug sind, der Mund, der nicht vage lächelt? erlebe. Ist es Kopie oder Interpretation, die ich anstrebe?




Haltung und Gesicht im Original deuten auf ein betroffenes Erkennen, das mit dem Gelesenen im Buch zusammen hängen mag.( Der Bildtitel "Annunziata" verweist auf ein Erscheinen des Erzengels Gabriel, der Maria die Botschaft bringt.) Ich betone eher das Weltliche, kein Erschrecken, ein fragender Blick, sinnliche Lippen. Nur der Schleier links zeigt Kraft und Strenge, rechts begrenzt er sanft das Bild.
In der letzten Arbeit löse ich mich völlig vom Vorbild. Meine "Annunziata" blickt eher kritisch, ist ruhig und gefasst, wissend. Sie ist im Heute angekommen – auch einer jungen Türkin mit Schleier vergleichbar. Der weiße Schleier bringt Licht ins Bild, seine Entschiedenheit gibt Halt.




wgVoigt am Ostermontag 2011.






Teil II
Nochmal einen Blick auf das Original
Die eingefügten Kompositionslinien sollen helfen, den Aufbau des Bildes zu untersuchen. Die Figur ist in ein spitzwinkliges Dreieck eingefügt. Dem entgegen gesetzt ist das Dreieck, das durch die Augenlinie hin zum Kinn gebildet wird. Noch deutlicher wird diese Gegenbewegung, wenn man die Nasenlinie von den Augen bis zur Hand verlängert.
Durch die Lichtführung ergibt sich eine Bewegung von links nach rechts, die die leichte Gegendrehung des Gesichtes unterstreicht. Zusätzlich wird, um das Ganze im Gleichgewicht zu halten, denke ich, der Heiligenschein nach rechts versetzt gezeigt.








Die reduzierte Abbildung mit einer vereinfachten Struktur verdeutlicht, was ich zeige möchte und auch wie raffiniert die Verbindung von Gesicht, Händen und Buch hergestellt wird.




Die Augen wirken nachdenklich (?). Die junge Frau betrachtet nichts aktiv, eher schaut sie nach innen. Da das Buch im Licht, aber nicht in ihrer Blickrichtung liegt, deute ich ihren Ausdruck – auch im Hinblick auf die Gestik ihrer Hände - als das Erkennen ihrer Bestimmung (Annunziata = Verkündigung). Diese Gestik und auch die unterschiedlich großen Hände erscheinen mir bemerkenswert. Beide Hände führen von der Lektüre des Buches weg. Es ist eine Geste des Selbstschutzes. Die gespreizten Finger deuten auf eine starke Erregung, ein Erschrocken-Sein. Der Faltenwurf unter der großen, linken Hand, der in einem Bogen abschließt und auf die linke Buchseite zielt, unterstreicht dieses schreckhafte Berührt-Sein. Warum aber ist ihre rechte Hand, die doch im Normalfall die tätige ist, so klein und unbedeutend geraten.


Die vielen kleinen Bewegungslinien im nächsten Bild geben vielleicht Aufschluss:


Kompositionsablauf zeigt, wie wichtig es dem Maler ist, das Auge des Betrachters um das Gesicht der Madonna kreisen zu lassen. Ich folge den Bildteilen in drei Stufen: Augenpaar, Nase, Mund -> Hände -> Buch -.  Das helle Oval zeigt hauptsächlich Ruhe. Das umhüllende Tuch erscheint im Hell / Dunkel gleich-gewichtig. Die große, bewegte Hand lenkt mein Auge im zweiten Schritt auf der Lichtseite ins Tuch, ich folge dem Faltenwurf zur Stirn, gleite ab in den dunklen Bereich und werde von der kleinen Hand aufgenommen. Abgespalten, aber unübersehbar liegt das Buch im Hellen. Mir scheint, hier finde ich den stärksten Kontrast des Bildes.


 Damit die Bedeutung der verschiedenen Handgrößen deutlich wird, habe ich den folgenden Versuch unternommen: 
1. die kleine Hand ist geschwärzt -> das Gleichgewicht ist gestört, die Bildteile fallen auseinander.
2. das Original unverändert.
3. ich habe die kleine Hand gedehnt -> die Hände erhalten mehr Aufmerksamkeit. Sie stören das Verhältnis von Gesicht und Buch. 




Damit die mir gestellte Aufgabe überschaubar bleibt, habe ich die Farben als Faktor der Komposition hier nicht weiter berücksichtigt. Mit Sicherheit gibt es noch viel anzumerken und ich möchte den Leser ausdrücklich einladen, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, wie man sich Bilder sinnlich erarbeiten kann. Mein Ziel ist, nach einer „Sitzung“, dem Vorbild näher gerückt zu sein.
Hier möchte ich erstmal abschließend den Hut ziehen: es bleibt bewundernswert, wie kenntnisreich und sensibel die Altvorderen gearbeitet haben. Mich beeindruckt das optische Erlebnis, das mir Antonello Da Messina mit seiner Annunziata geschenkt hat.


Copyright
wgvoigt 2011



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