Antonello Da Messina
Annunziata (Museo Nationale, Palermo)
1475
Antonello Da Messina
Annunziata (München, Alte Pinakothek)
ca. 1470
Mir
steht leider keine freie farbige Abbildung der Pinakothek zur
Verfügung. Daher habe ich die Annunziata aus Palermo oben abgebildet,
die farblich ähnlich aufgebaut ist. Das Münchner Bild, auf das ich mich
im Folgenden beziehe zeige ich Ihnen in s/w. Warum stelle ich eine
Madonna vor? Mir geht es um ein Porträt.
Meinen
Gegenstand wähle ich eher spontan. Das Bild hängt in einer der seitlich
gelegenen, wenig besuchten Kojen. Es misst ca. 43 x 32 cm und ist in
einem dunklen Holzrahmen eingespannt. Ein leuchtendes Blau, das des
Tuches, hält mich, fällt mir als erstes auf. Auf den zweiten Blick
fesselt mich das Gesicht dieser Madonna. Keine Schönheit ist sie, eher
das Mädchen von nebenan, unausgewogen das Verhältnis ihrer Augen zu Nase
und Mund, die wie ein „T“ mit starker Unterlänge im Oval fast streng
platziert sind. Das Gemälde vereint eine Angespanntheit mit großer Ruhe.
In
meiner ersten Zeichnung versuche ich über rhythmisch gesetzte Linien
dem Geheimnis dieser Bildspannung nahe zu kommen. Es scheint, als ob die
Kopfbewegung nach links führt, die der Augen nach rechts. Den Bogen des
Tuches, der ihr Gesicht einrahmt, habe ich deutlich überspannt, damit
der Rhythmus sichtbar hervortritt.
Im
zweiten Schritt ist es die Eigenheit des Gesichtes, die ich kennen
lernen will. Die weit gespannten Wangenbögen stehen im Kontrast zu der
schmalen, langen Nase und dem winzigen Mund, der mit der knapp
bemessenen Kinnpartie eine abschließende Einheit bildet. Dies gibt der
eigenartig geformten Gesichtsfläche einen Hauch Grobschlächtigkeit, die
der Zartheit der Linien und der Tönung widerspricht.
Es
scheint mir bemerkenswert, dass ich im Augenblick, da ich diese
Beschreibung liefere, die Mängel meiner Zeichnung - die Augen, die nicht
schmal genug sind, der Mund, der nicht vage lächelt? erlebe. Ist es
Kopie oder Interpretation, die ich anstrebe?
Haltung
und Gesicht im Original deuten auf ein betroffenes Erkennen, das mit
dem Gelesenen im Buch zusammen hängen mag.( Der Bildtitel "Annunziata"
verweist auf ein Erscheinen des Erzengels Gabriel, der Maria die
Botschaft bringt.) Ich betone eher das Weltliche, kein Erschrecken, ein
fragender Blick, sinnliche Lippen. Nur der Schleier links zeigt Kraft
und Strenge, rechts begrenzt er sanft das Bild.
In
der letzten Arbeit löse ich mich völlig vom Vorbild. Meine "Annunziata"
blickt eher kritisch, ist ruhig und gefasst, wissend. Sie ist im Heute
angekommen – auch einer jungen Türkin mit Schleier vergleichbar. Der
weiße Schleier bringt Licht ins Bild, seine Entschiedenheit gibt Halt.
wgVoigt am Ostermontag 2011.
Teil II
Nochmal einen Blick auf das Original
Die
eingefügten Kompositionslinien sollen helfen, den Aufbau des Bildes zu
untersuchen. Die Figur ist in ein spitzwinkliges Dreieck eingefügt. Dem
entgegen gesetzt ist das Dreieck, das durch die Augenlinie hin zum Kinn
gebildet wird. Noch deutlicher wird diese Gegenbewegung, wenn man die
Nasenlinie von den Augen bis zur Hand verlängert.
Durch
die Lichtführung ergibt sich eine Bewegung von links nach rechts, die
die leichte Gegendrehung des Gesichtes unterstreicht. Zusätzlich wird,
um das Ganze im Gleichgewicht zu halten, denke ich, der Heiligenschein
nach rechts versetzt gezeigt.
Die
reduzierte Abbildung mit einer vereinfachten Struktur verdeutlicht, was
ich zeige möchte und auch wie raffiniert die Verbindung von Gesicht,
Händen und Buch hergestellt wird.
Die
Augen wirken nachdenklich (?). Die junge Frau betrachtet nichts aktiv,
eher schaut sie nach innen. Da das Buch im Licht, aber nicht in ihrer
Blickrichtung liegt, deute ich ihren Ausdruck – auch im Hinblick auf die
Gestik ihrer Hände - als das Erkennen ihrer Bestimmung (Annunziata =
Verkündigung). Diese Gestik und auch die unterschiedlich großen Hände
erscheinen mir bemerkenswert. Beide Hände führen von der Lektüre des
Buches weg. Es ist eine Geste des Selbstschutzes. Die gespreizten Finger
deuten auf eine starke Erregung, ein Erschrocken-Sein. Der Faltenwurf
unter der großen, linken Hand, der in einem Bogen abschließt und auf die
linke Buchseite zielt, unterstreicht dieses schreckhafte Berührt-Sein.
Warum aber ist ihre rechte Hand, die doch im Normalfall die tätige ist,
so klein und unbedeutend geraten.
Die vielen kleinen Bewegungslinien im nächsten Bild geben vielleicht Aufschluss:
Kompositionsablauf
zeigt, wie wichtig es dem Maler ist, das Auge des Betrachters um das
Gesicht der Madonna kreisen zu lassen. Ich folge den Bildteilen in drei
Stufen: Augenpaar, Nase, Mund -> Hände -> Buch -. Das helle Oval
zeigt hauptsächlich Ruhe. Das umhüllende Tuch erscheint im Hell / Dunkel
gleich-gewichtig. Die große, bewegte Hand lenkt mein Auge im zweiten
Schritt auf der Lichtseite ins Tuch, ich folge dem Faltenwurf zur Stirn,
gleite ab in den dunklen Bereich und werde von der kleinen Hand
aufgenommen. Abgespalten, aber unübersehbar liegt das Buch im Hellen.
Mir scheint, hier finde ich den stärksten Kontrast des Bildes.
Damit die Bedeutung der verschiedenen Handgrößen deutlich wird, habe ich den folgenden Versuch unternommen:
1. die kleine Hand ist geschwärzt -> das Gleichgewicht ist gestört, die Bildteile fallen auseinander.
2. das Original unverändert.
3.
ich habe die kleine Hand gedehnt -> die Hände erhalten mehr
Aufmerksamkeit. Sie stören das Verhältnis von Gesicht und Buch.
Damit
die mir gestellte Aufgabe überschaubar bleibt, habe ich die Farben als
Faktor der Komposition hier nicht weiter berücksichtigt. Mit Sicherheit
gibt es noch viel anzumerken und ich möchte den Leser ausdrücklich
einladen, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, wie man sich Bilder
sinnlich erarbeiten kann. Mein Ziel ist, nach einer „Sitzung“, dem
Vorbild näher gerückt zu sein.
Hier
möchte ich erstmal abschließend den Hut ziehen: es bleibt
bewundernswert, wie kenntnisreich und sensibel die Altvorderen
gearbeitet haben. Mich beeindruckt das optische Erlebnis, das mir
Antonello Da Messina mit seiner Annunziata geschenkt hat.
Copyright
wgvoigt 2011
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